Hans Essel und Cordula Zeller (Heidelberg, 1983)
Eine phantastische Welt
Cordula Zeller und Hans Essel inszenieren Else Lasker-Schüler
Die Bühne ist ganz in Blau dekoriert. Teils Stoffsammlung, teils Omas Trödel; hier ein Jugendstilrahmen, dort eine alte Stickerei. Dazwischen Aquarelle in Blautönen, Collagen. Wie bei einer Geisterbeschwörung beginnt der Abend: Cordula Zeller ruft Else. Mit dunkler, ausdrucksvoller Stimme rezitiert sie Gedichte einer Exzentrikerin, die in ihrer vom Gefühl dominierten, vorwiegend improvisatorischen Kunst endlos schwellende Phantasie, glühende Sinnlichkeit und jüdisch-mystische Religiosität neben exotischen Farbillusionen und orientalischem Märchenzauber vereinte. Eine ausgefallene musikalische Begleitung besorgt Hans Essel: auf der elektrischen Geige interpretiert er in Eigenkompositionen die Gedichte und schafft so musikalische Überleitungen zwischen den einzelnen Texten.
Im ersten Teil des Abends (Alte Krone und Romanischer Keller) haben die Vortragenden eine Gedichtauswahl zusammengestellt, die dem üblichen Lasker-Schüler-Bild entspricht: versäumt, bizarr ("Mein blaues Klavier"), dem "Mond" und nächtlichem "Sinnesrausch" hingegeben. Der zweite Teil dagegen zeigt ein weitaus differenzierteres Bild der vagabundierenden Poetin. Sie wird vorgestellt als scharfsinnige Portraitistin, die in pointierter Kürze die Zeitgenossen Trakl und Werfel skizziert. Ihre phantastischen Wortgebilde faszinieren in "Meinwärts" und einem ihrer bekanntesten Titel "Ein alter Tibetteppich". Vorausahnend und desperat zeigt sie sich in "Mein Volk".
Cordula Zeller, für die es ihr erster öffentlicher Auftritt war, bemüht sich mit viel Engagement und Einfühlungsvermögen um eine differenzierte Vortragsweise. Ihre gelungensten Auftritte, bei denen sie zur Beherrscherin der Szene wird und ihr Publikum fesselt, sind die Gedichte zu "Trieb" und "Sünde", die in der Extase eines weiblichen "Dämon" gipfeln. Hier liegt, jedenfalls zur Zeit, ganz unbestreitbar ihre Stärke.
pl
Rhein-Neckar-Zeitung, 30. März 1983