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Improvisationsgruppe SAHA

Hans Essel (vl, vla), Sam Thiel (Horn), Horst Rügner (Schlagwerk)

Der Geigenton muß durch die Maschine
"Neue Musik" des experimentellen Ensembles "Saha" im Deutsch-Amerikanischen Institut

Auf dem Notenständer ist ein Vivaldi-Konzert aufgeblättert. Doch das täuscht - die Musik, die im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg aus den Lautsprechern dringt, hat weiß Gott nichts Barockes an sich. Sie ist improvisiert und frei, ohne tonale Beschränkungen und voll aufregender dynamischer Wendungen. ,, Musik für Instrumente und Maschinen" ist ihr Konzept, doch sind ihre Klänge nicht künstlich. Sie werden vielmehr rein konventionell erzeugt, mit Geige, Bratsche, Horn und Schlagwerk. Nur: bevor ein Geigenton das Ohr des Zuhörers erreicht, muß er noch eine Maschine durchlaufen. Ihre Elektronik modifiziert und moduliert, mischt hinzu und verstärkt und verfremdet bisweilen zu bizarren Klanggebilden.

,,Neue Musik" nennt ,,Saha", ein dreiköpfiges Ensemble, das Produkt. Saha bedeutet in Sanskrit soviel wie ,,die Welt". Es steht aber auch für Samuel und Hans. Samuel Thiel, schon lange in Deutschland lebender Amerikaner, ist Hornist und spiritus rector der Gruppe. Er genoß eine rein klassische Ausbildung, sein Werdegang führte ihn an die Pulte zahlreicher großer Orchester Europas. Hans Essel hingegen ist Kernphysiker. In der Gruppe spielt er Elektrogeige und -bratsche. Doch er kommt vom Jazz und ist somit künstlerischer Antagonist Thiels. Dritter im Bunde ist der Percussionist Horst Rügner, der von einer wahren Festung aus unter anderem Trommeln und Pauken, Tablas, Bongas, Xylophon sowie einem riesigen Gong umgeben ist. Doch diese Instrumente stehen in beruhigendem Gegensatz zu der kalt mit Signallämpchen starrenden Technik, die in Form riesiger Tonbandmaschinen und Verstärkeranlagen präsent ist.

Trotz ihres improvisatorischen Charakters ist die Musik der Gruppe in Stücke unterteilt, die zudem noch Titel tragen. Doch beinhalten die Stücke allenfalls ein musikalisches Gerüst, um das sich das freie Spiel ranken kann. Der Ablauf ist somit immer anders, und auch die Titel werden fragwürdig. Doch gerade aus der Offenheit dieser Form ergibt sich der Reiz dieser Musik. Häufig scheinen sich die Ausführenden zunächst abzutasten, bevor Horn und Geige zu einem gemeinsamen Nenner finden. So etwa im Stück ,,Ghost of the Flute". Samuel Thiel hat hier das Horn mit der Flöte vertauscht. Scheinbar ohne Zusammenhang zur melodiösen Phrasierung der Geige stöhnt der stammelnde Flötengeist in abgehackten Tönen.

Später, in der ,,beschaulichen Betrachtung", stehen sich Geige und Xylophon in ausladendem Dialog gegenüber. Dafür klingt das Stück "Take 0ff" genauso, wie es heißt. Ein einziger dynamischer Exzeß, angereichert mit Echo-Effekten, rauschenden Geigenglissandi, die ausgedehntes ,,Sirenengeheul" nach sich ziehen, sowie einer vehementen Schlagzeugorgie entläßt das leider nur spärlich erschiene Publikum in die Pause.

Danach ein mehr experimentelles Spektakel für Schlagwerk solo. Durch Druck auf ihr Fell läßt Horst Rügner eine große Trommel vernehmlich ,,atmen", auf ihrem Fell tanzende und auch über die Becken gestreute Münzen beweisen, daß Geld nicht nur nicht stinkt, sondern sogar klingen kann, und nach einer furiosen Jagd über die Becken und eindrucksvoller Bearbeitung des großen Gongs nutzt der agile Solist noch andere Möglichkeiten zur Klangerzeugung: ein Metallfaden peitscht die Becken, eine Schnur mit einer Trommel als Klangkörper wird mittels Geigenbogen in Schwingung versetzt und erst ein dröhnender Gongschlag macht dem Klanginferno ein Ende. Andere Stücke hingegen arbeiten mit ostinaten Bässen vom Band, von hübschen Violin- und Hornpassagen umspielt.

Doch der ,,Trialog", das Finalstück dieses ungewöhnlichen Abends, kehrt zurück zur Diktion der Effekte und Gags, der stürmischen Dynamik und der überraschenden Wechsel im Klangbild. Und so zeugen einmal mehr Sirenenklänge und Echoeffekte, Tongirlanden und oft abgehackt wirkende Wechselgesänge der Instrumente von der Musikauffassung dieser Gruppe, die alle formalen Grenzen längst gesprengt hat und der offenkundig auch der Jazz nicht mehr genügt. ,,Sahas" Tonserien und Klanggebilde wirken herrlich anarchisch, zeigen aber sogleich jenen Ansatz zur Selbstorganisation durch gegenseitiges Aufeinandereingehen, der künstlerische (und nicht nur diese) Anarchie so attraktiv, ja überhaupt erst lebensfähig macht.
ode
Heidelberger Tageblatt, 16. Juli 1982



Dialog der Instrumente
Die Gruppe ,,Saha" im Deutsch-Amerikanischen Institut

Ganze Schlagzeug-Batterien, aber noch mehr Elektronik mit großen Tonbandspulen, blinkenden Verstärkern und trotzig dunklen Boxen beherrschten die Bühne beim Auftritt der Gruppe "Saha" im Deutsch-Amerikani- schen Institut, dem früheren Amerikahaus. Samuel Thiel (Horn, Flöte) und Hans Essel (Geige, Bratsche) sind mit den Anfangssilben ihrer Vornamen Taufpaten des Ensembles, und der "dritte Mann" ist der Schlagzeuger Horst Rügner. Doch "Saha" bedeutet noch mehr. Aus dem Sanskrit laßt es sich mit "Welt" übersetzen, und in der Tat hat sich das Ensemble eine eigene musikalische Welt geschaffen.

Sie wirkt beim ersten Hinhören regellos, ja beinahe chaotisch. Freie Improvisation dominiert, und daß sie ihren Stücken eine Art Gerüst verliehen haben, sei eigentlich nur im Hinblick auf das Konzert geschehen, erläutert Samuel Thiel. Doch die freie Form gehorcht auch Regeln, die ähnlich wie beim Free-Jazz aus "hinhören und darauf eingehen" bestehen. Musikalische Gedanken und Stimmungen entstehen beim Spiel der drei, werden aufgegriffen, weiterverfolgt oder durch eigene "Zutaten" ergänzt. So entwickeln sich Dialoge zwischen zwei Instrumenten, der dritte Mann kann einsteigen oder auch nicht. Daß sie ihren Stücken Titel verliehen haben, hat dabei allenfalls eine allegorische Bedeutung. Denn der Charakter der Stücke kommt aus der Entwicklung des Augenblicks heraus und ist nicht an eine vom Titel vorgegebene Assoziation gebunden. So können auf sanfte, melodiöse Phrasen explosive Entladungen etwa vom Schlagzeug folgen, oder umgekehrt münden aufregende Fortissimo-Sequenzen in weiche, liedhafte Tonfolgen. Vom Band stammende Baß-Grundtöne etwa werden von den beiden Melodieinstrumenten grazil umspielt, andere Effekte hingegen lassen die Musik anschwellen zu riesigen, voluminösen Klangräumen, die ihre eigene Dimension annehmen und doch meilenweit von jeder psychedelischen Wirkung entfernt sind. Echoeffekte vornehmlich schaukeln diese expandierenden Klang-Blasen auf, aber auch das eherne Auf- und Abschwellen des Gongs mit seinen zahllosen Obertönen erzielt vergleichbare Effekte. Geigenglissandi werden so zu Sirenen, und hauchfeine Percussions-Anschläge geraten zu mystisch raunenden Geisterstimmen.

"Saha" ist indes auch anderen Experimenten nicht abgeneigt. In einem ausgedehnten Percussionssolo etwa streut Drummer Rügner Münzen über sein Schlaggerät und haut dann auf die Pauke, daß die Knete über die ganze Bühne fliegt. Ein Geigenbogen wird zweckentfremdet, um eine Schnur mit einer Trommel als Klangkörper in Schwingung zu versetzen, und dergleichen Gags mehr lösten ein beachtliches Spektrum an Klängen, aber auch ihrer Verfremdung aus. Oder Hans Essels Elektrogeige wird zum Percussionsinstrument umfunktioniert, während er mit seinem Bogen Schlagzeug spielt. Verkehrte Musikwelt also auf der Bühne, doch gerade sie macht zum guten Teil den Reiz der "Musik für Instrumente und Maschinen" - so überschrieben die Musiker ihr Konzert - aus.
tj.
Rhein-Neckar-Zeitung, 16. Juli 1982